Nachfolge geregelt
Sie hat jetzt autofrei
19. September 2018 agvs-upsa.ch – Doris Stocker war jahrelang Chefin in einer Männerdomäne. Die Mechaniker in ihrer Brunau Garage mussten sich von einer Frau dreinreden lassen, die von Motor und Getriebe nicht allzu viel verstand. Nun hat die Garagistin ihr Geschäft übergeben.
«Es wird geflucht, wenn geflucht werden muss», sagt Doris Stocker, rechts Paolo de Giorgi. (Bilder Doris Fanconi)
nb. Was ist eine Garage ohne Autos? In diesem Fall eine Baustelle. Und während eine Baustelle für gewöhnlich auf einen Anfang hinweist, bedeutet diese hier für Doris Stocker das Ende. Nach 42 Jahren verschwindet der Name Stocker, weiss auf blau, vom Schild der Brunau Garage, vom Vordach dieser kleinen Werkstatt an der Brunaustrasse 89 in Zürich, eingequetscht zwischen Gleisen, Strasse und Autobahnbrücke. Die Garage bleibt bestehen, Ruckstuhl übernimmt, ein Familienbetrieb, inklusive drei von vier Angestellten.
Frau Stocker, die wichtigste Frage zuerst: Wer kann besser Auto fahren, Frauen oder Männer?
Männer. Frauen können in der Regel nicht so gut manövrieren. Sie machen mehr Park-, aber weniger Totalschäden.
Sind Sie selber eine gute Autofahrerin?
Ich würde sagen Ja.
Eine Frau als Chefin einer Garage, was verändert das?
Es wird nicht geflucht, nur damit geflucht wird. Es wird dann geflucht, wenn geflucht werden muss. Und wir haben eine andere Kundschaft. Weniger schnelle Wagen, aber nicht weniger männliche Kunden.
Doris Stocker, 65 Jahre alt, sitzt in ihrem Büro, leicht erhöht, durch zwei grosse Fenster überblickt sie den Raum, in dem bis vor kurzem noch einige Neuwagen zum Verkauf und ein Oldtimer nicht zum Verkauf standen. Von hier oben hatte sie alles im Griff, Kunden und Angestellte. Es ist ja nicht so, dass einfach fertig ist, wenn fertig ist. Die Buchhaltung, die Abrechnungen, das Administrative werden Doris Stocker noch eine Weile beschäftigen. Danach beginnt die freie Zeit. Geplant ist, die Wohnung im Zollikerberg aufzuräumen. Und sonst? «Schauen wir mal», sagt Stocker, und es scheint, als sei die Planlosigkeit durchaus gewollt. Wenn nicht sogar geplant.
Dass Doris Stocker die Chefin einer Garage wurde vor 14 Jahren, war das Gegenteil von gewollt. Ihr Mann verunglückte tödlich. Und ohne ihre Garage, sagt Doris Stocker heute, wäre sie in der Folge des Unglücks verkümmert. Sie sei unglaublich kommunikativ, die Gespräche mit den Angestellten, mit den Kunden, die hätten sie durch diese Zeit getragen. Nach dem Unfall schloss sie die Garage einige Tage, strich sie gemeinsam mit den Angestellten neu. Und machte dann selber weiter.
Irgendwann kam der Name Doris vor den Namen Stocker, fortan mussten es die Mechaniker akzeptieren, dass ihre Chefin zwar noch nie selber ein Auto repariert hatte, aber dennoch immer wissen wollte, was genau und weshalb etwas so und nicht anders gemacht werde. «Das war nicht immer einfach», sagt Stocker, stützt sich nach vorne und lacht laut.
Wie unterscheiden sich Männer und Frauen, wenn sie in die Garage kommen?
Ein Mann gibt den Schlüssel ab und sagt: Etwas stimmt mit den Bremsen nicht. Eine Frau gibt den Schlüssel erst ab, wenn wir gemeinsam erörtert haben, woran es liegen könnte, dass die Bremsen nicht funktionieren.
Welche Geschichte aus 40 Jahren Garage werden Sie immer wieder erzählen?
Sie tönt wie ein Witz, stimmt aber: Ein Chirurg brachte den Wagen in die Werkstatt, die Bremsen würden nicht funktionieren. Das war tatsächlich so, da war überhaupt kein Bremsdruck vorhanden. Ob nie etwas aufgeleuchtet habe, wollte der Mechaniker wissen. Da kam dem Chirurgen in den Sinn, dass ihn sein Vater mal gefragt habe, ob ihn das rote Lämpchen beim Fahren nicht störe. Doch, es störte ihn, also «operierte» er es aus dem Armaturenbrett.
Stimmt der Mythos vom fehlerhaften Montagsauto?
Nicht mehr. Seit Roboter am Werk sind, gibt es das Montagsauto nicht mehr. Dafür gibt es dann ganze Serien, die zurückgerufen werden müssen. Weil der Roboter Montag bis Freitag denselben Fehler gemacht hat.
1976 kam Doris Stocker mit ihrem Mann aus dem Freiamt nach Zürich, um in der Brunau zu arbeiten. Sie hatten sich in der Peugeot-Garage von Stockers Eltern kennen gelernt, wo Doris Stocker im Büro und er in der Werkstatt arbeitete. Damals war die Brunau Garage noch eine offizielle Peugeot-Vertretung, Autos hatten noch keinen Computeranschluss, und bis zur Einführung von Bleifrei 95 ging es noch fast zehn Jahre. Auch hier: Sie arbeitete im Büro, er in der Werkstatt. Das blieb so, als sie die Garage 1986 übernehmen.
2003 verloren sie die Peugeot-Vertretung, «die Zeiten änderten sich, wir waren zu klein und zu wenig schön». Der Marke ist Doris Stocker treu geblieben, das schon, ein komfortabler Wagen sei er, der Peugeot. Sie selber fuhr täglich von Zollikerberg, wo sie wohnt, nach Zürich und am Abend zurück in ihrem Peugeot. Nur kurz war sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, weil sie das Billett abgeben musste.
Die Frage nach dem Ende
«Frau Stocker, wie lange machen Sies noch?» Das war die Frage von Maja Ruckstuhl am Telefon. Sie und ihr Mann suchten eine Garage in der Region. Man kam ins Gespräch, man fand sich, und Doris Stocker hatte bald «ein gutes Gefühl». Das war ihr wichtig. Einerseits wegen ihrer Angestellten, andererseits wegen ihrer Kunden. Bis auf den Werkstattchef, der den Betrieb wechselt, bleiben alle. Etwa Paolo de Giorgi , der seit neun Jahren in der Garage arbeitet.
Er redet nicht gerne über das, was kommt. Er räumt auf und um – und er weiss jetzt schon, dass er Doris Stocker vermissen wird. Ihre Menschlichkeit, sie, die ihm in seinem Leben so viele Male geholfen habe. Dazu gehört auch, dass sie ihre Garage nicht irgendwem verkauft hat. Denn Angebote, sagt sie, habe es immer wieder gegeben. <
Die Publikation dieses Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des «Tages-Anzeigers».
«Es wird geflucht, wenn geflucht werden muss», sagt Doris Stocker, rechts Paolo de Giorgi. (Bilder Doris Fanconi)
nb. Was ist eine Garage ohne Autos? In diesem Fall eine Baustelle. Und während eine Baustelle für gewöhnlich auf einen Anfang hinweist, bedeutet diese hier für Doris Stocker das Ende. Nach 42 Jahren verschwindet der Name Stocker, weiss auf blau, vom Schild der Brunau Garage, vom Vordach dieser kleinen Werkstatt an der Brunaustrasse 89 in Zürich, eingequetscht zwischen Gleisen, Strasse und Autobahnbrücke. Die Garage bleibt bestehen, Ruckstuhl übernimmt, ein Familienbetrieb, inklusive drei von vier Angestellten.
Frau Stocker, die wichtigste Frage zuerst: Wer kann besser Auto fahren, Frauen oder Männer?
Männer. Frauen können in der Regel nicht so gut manövrieren. Sie machen mehr Park-, aber weniger Totalschäden.
Sind Sie selber eine gute Autofahrerin?
Ich würde sagen Ja.
Eine Frau als Chefin einer Garage, was verändert das?
Es wird nicht geflucht, nur damit geflucht wird. Es wird dann geflucht, wenn geflucht werden muss. Und wir haben eine andere Kundschaft. Weniger schnelle Wagen, aber nicht weniger männliche Kunden.
Doris Stocker, 65 Jahre alt, sitzt in ihrem Büro, leicht erhöht, durch zwei grosse Fenster überblickt sie den Raum, in dem bis vor kurzem noch einige Neuwagen zum Verkauf und ein Oldtimer nicht zum Verkauf standen. Von hier oben hatte sie alles im Griff, Kunden und Angestellte. Es ist ja nicht so, dass einfach fertig ist, wenn fertig ist. Die Buchhaltung, die Abrechnungen, das Administrative werden Doris Stocker noch eine Weile beschäftigen. Danach beginnt die freie Zeit. Geplant ist, die Wohnung im Zollikerberg aufzuräumen. Und sonst? «Schauen wir mal», sagt Stocker, und es scheint, als sei die Planlosigkeit durchaus gewollt. Wenn nicht sogar geplant.
Dass Doris Stocker die Chefin einer Garage wurde vor 14 Jahren, war das Gegenteil von gewollt. Ihr Mann verunglückte tödlich. Und ohne ihre Garage, sagt Doris Stocker heute, wäre sie in der Folge des Unglücks verkümmert. Sie sei unglaublich kommunikativ, die Gespräche mit den Angestellten, mit den Kunden, die hätten sie durch diese Zeit getragen. Nach dem Unfall schloss sie die Garage einige Tage, strich sie gemeinsam mit den Angestellten neu. Und machte dann selber weiter.
Irgendwann kam der Name Doris vor den Namen Stocker, fortan mussten es die Mechaniker akzeptieren, dass ihre Chefin zwar noch nie selber ein Auto repariert hatte, aber dennoch immer wissen wollte, was genau und weshalb etwas so und nicht anders gemacht werde. «Das war nicht immer einfach», sagt Stocker, stützt sich nach vorne und lacht laut.
Wie unterscheiden sich Männer und Frauen, wenn sie in die Garage kommen?
Ein Mann gibt den Schlüssel ab und sagt: Etwas stimmt mit den Bremsen nicht. Eine Frau gibt den Schlüssel erst ab, wenn wir gemeinsam erörtert haben, woran es liegen könnte, dass die Bremsen nicht funktionieren.
Welche Geschichte aus 40 Jahren Garage werden Sie immer wieder erzählen?
Sie tönt wie ein Witz, stimmt aber: Ein Chirurg brachte den Wagen in die Werkstatt, die Bremsen würden nicht funktionieren. Das war tatsächlich so, da war überhaupt kein Bremsdruck vorhanden. Ob nie etwas aufgeleuchtet habe, wollte der Mechaniker wissen. Da kam dem Chirurgen in den Sinn, dass ihn sein Vater mal gefragt habe, ob ihn das rote Lämpchen beim Fahren nicht störe. Doch, es störte ihn, also «operierte» er es aus dem Armaturenbrett.
Stimmt der Mythos vom fehlerhaften Montagsauto?
Nicht mehr. Seit Roboter am Werk sind, gibt es das Montagsauto nicht mehr. Dafür gibt es dann ganze Serien, die zurückgerufen werden müssen. Weil der Roboter Montag bis Freitag denselben Fehler gemacht hat.
1976 kam Doris Stocker mit ihrem Mann aus dem Freiamt nach Zürich, um in der Brunau zu arbeiten. Sie hatten sich in der Peugeot-Garage von Stockers Eltern kennen gelernt, wo Doris Stocker im Büro und er in der Werkstatt arbeitete. Damals war die Brunau Garage noch eine offizielle Peugeot-Vertretung, Autos hatten noch keinen Computeranschluss, und bis zur Einführung von Bleifrei 95 ging es noch fast zehn Jahre. Auch hier: Sie arbeitete im Büro, er in der Werkstatt. Das blieb so, als sie die Garage 1986 übernehmen.
2003 verloren sie die Peugeot-Vertretung, «die Zeiten änderten sich, wir waren zu klein und zu wenig schön». Der Marke ist Doris Stocker treu geblieben, das schon, ein komfortabler Wagen sei er, der Peugeot. Sie selber fuhr täglich von Zollikerberg, wo sie wohnt, nach Zürich und am Abend zurück in ihrem Peugeot. Nur kurz war sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, weil sie das Billett abgeben musste.
Die Frage nach dem Ende
«Frau Stocker, wie lange machen Sies noch?» Das war die Frage von Maja Ruckstuhl am Telefon. Sie und ihr Mann suchten eine Garage in der Region. Man kam ins Gespräch, man fand sich, und Doris Stocker hatte bald «ein gutes Gefühl». Das war ihr wichtig. Einerseits wegen ihrer Angestellten, andererseits wegen ihrer Kunden. Bis auf den Werkstattchef, der den Betrieb wechselt, bleiben alle. Etwa Paolo de Giorgi , der seit neun Jahren in der Garage arbeitet.
Er redet nicht gerne über das, was kommt. Er räumt auf und um – und er weiss jetzt schon, dass er Doris Stocker vermissen wird. Ihre Menschlichkeit, sie, die ihm in seinem Leben so viele Male geholfen habe. Dazu gehört auch, dass sie ihre Garage nicht irgendwem verkauft hat. Denn Angebote, sagt sie, habe es immer wieder gegeben. <
Die Publikation dieses Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des «Tages-Anzeigers».