Interview mit Urs P. Gauch
«Die Nachfrage steigt, solange die Bevölkerung wächst»
29. Juni 2017 agvs-upsa.ch - Urs P. Gauch, Leiter Departement Firmenkunden bei Raiffeisen Schweiz, spricht im Interview über Renditen, Ratings und Rechnungen und kommt zum Schluss, dass das Schweizer Autogewerbe langfristig durchaus gute Aussichten hat: «Die Branche ist konjunkturresistent. Und Mobilität bleibt ein Bedürfnis. »
sco. Herr Gauch, gemäss aktuellem Branchenspiegel der Treuhand-Unternehmung Figas liegt die durchschnittliche Eigenkapital-Rendite eines Garagenbetriebes unter 4 Prozent, der durchschnittliche Cashflow in Prozent des Umsatzes bei 1,7 Prozent. Wie interpretieren Sie als Banker solche Kennzahlen?
Urs P. Gauch: Sie sind nicht berauschend. Die Branche ist sehr wettbewerbsintensiv, es herrscht ein anhaltender Margendruck. Die erwähnten Kennzahlen sind Durchschnittswerte, aber sie deuten auf einen Konsolidierungsbedarf der Branche hin.
Mit anderen Worten: Gibt es zu viele Garagenbetriebe in der Schweiz?
In Gesprächen mit Garagisten hören wir oft die gleichen Klagen: über nicht mehr existente Margen im Neuwagengeschäft und immer mehr Auflagen der Importeure. Man kann das Autogewerbe mit der Hotellerie vergleichen: Auch dort herrscht ein harter Wettbewerbsdruck und auch dort hat es trotzdem viele gute Betriebe. Das Autogewerbe hat den grossen Vorteil, dass es relativ konjunkturresistent ist. Ein Auto muss gewartet werden. Es besteht also stets ein Sockelbedarf an Leistungen. Früher war das alle 10 000 km, heute noch alle 30 000 km. Diese und andere Marktentwicklungen sind in den Betriebsstrukturen noch nicht vollständig nachvollzogen. Doch langfristig sind die Aussichten gut: Die Mobilität wird sich verändern, aber sie bleibt ein Bedürfnis.
Das Rating von Garagenbetrieben ist tief: Was kann der einzelne Garagenbetrieb konkret tun, um von den Banken positiver bewertet zu werden?
Wichtig ist, dass er sich klar positioniert. Raiffeisen versucht, nahe am Kunden zu sein. Wir kennen unsere Kunden und sind so in der Lage, beim Kreditrating auch qualitative Aspekte zu berücksichtigen. Drei Fragen stehen im Zentrum: Erstens die Strategie. Handelt es sich um einen unabhängigen Garagenbetrieb oder um eine Markenvertretung in einem Marktgebiet mit einer genügenden Grösse? Zweitens die Zahlenbasis: Wie verdient die Garage ihr Geld? Mit Neuwagen, Occasionen, Reparaturen? Hat sie einen Carrosserie-Bereich oder eine Tankstelle mit einem rentablen Shop? Die dritte Frage, die sich in einem Garagenbetrieb immer stellt, ist die nach dem Kapital. Eine Garage ist kapitalintensiv. Wie schnell schlägt der Garagist seinen Wagenpark um? Einmal im Jahr oder viermal? Besitzt er ein Gebäude? Ist es richtig eingerechnet? Könnte er es rentabler nutzen? Das sind die Fragen, auf die der einzelne Garagist Einfluss nehmen kann und muss.
Welches sind die wichtigsten Kriterien einer Bank bei der Bewertung eines Garagenbetriebes?
Der Unternehmer muss vor allem eine schlüssige Strategie haben. Wir haben einen Kunden bei der Übernahme von mehreren kleinen Garagenbetrieben begleitet und unterstützt. Er hat diese Betriebe übernommen und konsolidiert und ist jetzt mit seiner Marke die klare Nummer 1 in der Region, kann also Skalenvorteile realisieren. Wichtig sind auch eine saubere Betriebsrechnung und ein realistisches Budget. Eine Planung über zwei bis drei Jahre schadet auch nicht.
Worauf muss ein Garagist bei der Finanzierung seines Betriebes besonders achten?
Auf die Anlageintensität. Gerade im Wagenpark muss er sein Kapital rasch umsetzen. Und er darf nicht zu viele Risiken eingehen. Wir haben das 2015 erlebt, als plötzlich der Euro gegenüber dem Franken um 20 Prozent an Wert verlor. Die Neuwagenpreise sanken und die Preise der Occasionen zogen nach. Die Rechnung ist schnell gemacht: Ihr Occasionenbestand beträgt 500 000 Franken. Sinken die Preise um 10 Prozent, machen Sie 50 000 Franken Verlust… Auch die Immobilie muss er genau analysieren; oft sind Garagen an sehr guten, zentrumsnahen Lagen. Hier stellt sich die Frage, ob er mit einem Umzug an die Peripherie einerseits stille Reserven auflösen und andererseits am neuen Standort einen effizienteren Betrieb aufbauen kann.
Beobachten Sie als Banker häufige Fehler, mit denen sich Garagisten das Leben unnötig schwer machen?
Ich komme wieder mit dem Wagenpark: Oft ist dessen Verwaltung zu wenig proaktiv. Wenn der Garagist ein Auto sechs oder zwölf Monate an Lager hat und das korrekt rechnet, dann wird das teuer.
Sie raten ihm, in so einem Fall trotz knapper Margen mit dem Preis runterzugehen.
Den Preis senken oder eine andere Verkaufsplattform suchen. Ich bin Bankfachmann, kein Autovermarkter. Aber hier sehe ich Potenzial.
Oft ist von Garagisten zu hören, dass «die Banken» nicht mitmachen. Gleichzeitig bekunden Banken anscheinend Schwierigkeiten, geeignete Kreditnehmer zu finden. Wieso kommt das viele Geld, das die Zinsen derzeit so tief hält, nicht im Gewerbe an?
Das kann ich so pauschal nicht stehen lassen. Gerade bei Raiffeisen werden 95 Prozent aller Geschäftsentscheide lokal gefällt. Die Raiffeisenbanken vor Ort kennen ihre Kunden und deren Betriebe. Vor einem Jahr zum Beispiel sind wir zwei Brüdern, die einen neuen Garagenbetrieb aufbauen, bei der Finanzierung beigestanden: Die beiden Unternehmer hatten einen sauberen Business-Plan, ein gutes Konzept und ein proaktives Management. Man kann das Autogewerbe heute mit der Baubranche während der Immobilienkrise der 1990er-Jahre vergleichen: Es existieren Überkapazitäten, die über die Jahre abgebaut werden müssen. Das ist jetzt rein volkswirtschaftlich argumentiert, ich blende die oft schmerzhaften Einzelschicksale hier aus. Aber wo Überkapazitäten bestehen, müssen Betriebe vom Markt verschwinden oder aufgekauft werden. Wir Banken wollen mit Garagenbetrieben zusammenarbeiten. Aber wir schauen genau hin.
Welches sind für eine Bank die grössten Risiken in der Zusammenarbeit mit einer KMU im Allgemeinen und dem Autogewerbe im Speziellen?
Allgemein kann man von vier Risiken ausgehen. Erstens disruptive Entwicklungen, wie sie aktuell im Detailhandel zu beobachten sind: Hier gehen jährlich 3 bis 5 Prozent Umsatz verloren; das ist mit Kostensenkungen nicht aufzufangen. Zweitens das konjunkturelle Risiko: Hier blicken wir auf zehn Jahre mit einer guten Basiskonjunktur zurück, Drittens das Währungsrisiko: Das ist in einer Volkswirtschaft mit hohen Export- und Importaktivitäten immer ein Thema. Viertens die Positionierung und die Strategie: Für die Autobranche lässt sich mit einer kleinen SWOT-Analyse Folgendes festhalten. Die Stärken liegen in der lokalen Vernetzung und im anhaltenden Bevölkerungswachstum. Solange wir als Land wachsen, treibt das die Nachfrage an. Die Schwächen liegen in den Überkapazitäten und im gesättigten Markt. Als Chance erachte ich das Internet mit all seinen Möglichkeiten: von der Vermarktung bis hin zur Diagnose bei Reparaturen und der Abwicklung bei der Rechnungsstellung und als Risiko Themen wie Elektromobilität, Sharing oder auch die künftige Energiestrategie.
Auch die UBS kommt auf Anfrage zum Schluss, dass die Margen im Autogewerbe «sehr eng sind und die Risiken des Eigenkapitalgebers – auch im heutigen Tiefzinsniveau – nur ungenügend abgedeckt werden». Gegen den Vorwurf, Garagen grundsätzlich tief zu bewerten, wehrt man sich bei der grössten Schweizer Bank: «Ein spezifisches Branchenrating kennen wir nicht. Die von uns betreuten Garagen haben gegenüber dem Gesamtportfolio keine stark abweichenden Bonitätseinschätzungen.»
Bei der Kreditsprechung stütze sich die UBS vor allem auf die künftige Ertragskraft einer Unternehmung ab.
Und genau hier sieht die Bank Probleme: «Die erhöhten Anforderungen der Importeure widerspiegeln sich teilweise in Kreditgesuchen für Um- und Neubauten von Garagen, deren Ertragskraft in einem ungenügenden Verhältnis zur neuen Verschuldung steht.» Die Projekte seien teilweise, aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht, überdimensioniert und mit ungenügend angesparten Mitteln unterlegt.
Unterschätzt würden teilweise auch «ungünstige Rücknahmeverpflichtungen, die bei Leasingverträgen verkaufter Fahrzeuge eingegangen werden», so die UBS.
Teilweise problematisch für die UBS sind die Aktualität und Qualität des Zahlenmaterials und insbesondere bei kleineren KMU die Abhängigkeit vom Inhaber/Geschäftsführer. Auch die Infrastruktur werde «diverse Herausforderungen mit sich bringen und Anpassungen notwendig machen»; sie sei auf die heutigen Rahmenbedingungen ausgerichtet , während die aktuellen Trends in Richtung e-Auto, e-Commerce und Carsharing deuten.