«Die Leute haben gemerkt, dass man sie kaufen will»

Interview mit Thomas Hurter

«Die Leute haben gemerkt, dass man sie kaufen will»

18. Juni 2021 agvs-upsa.ch – Die Schweiz erhält kein neues CO2-Gesetz. Das Autogewerbe, darunter auch der AGVS, hatte sich vehement gegen die Vorlage eingesetzt, die vom Souverän verworfen wurde. An vorderster Front engagierte sich Nationalrat Thomas Hurter. Im Interview analysiert der designierte AGVS-Zentralpräsident das Resultat und zeigt auf, mit welchen Mitteln die Schweiz zum Klimaschutz beitragen kann. 

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Quelle: AGVS-Medien 

sco. Herr Hurter, am Abstimmungssonntag am 13. Juni machte auf Social Media der Hashtag #sorrykids die Runde. Bis man feststellte, dass die «Kids», also die 18- bis 34-Jährigen, von allen Alterskategorien am klarsten Nein sagten. Hat Sie das überrascht?
Thomas Hurter, ACS-Präsident und SVP-Nationalrat: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben erkannt, dass dieses CO2-Gesetz der falsche Weg ist, um das Klima zu schützen. Zudem ist gerade bei emotionalen Themen ein Effekt häufig zu beobachten: Die Menschen verhalten sich in den Umfragen anders als beim Ausfüllen des Stimmzettels. Ein Beispiel: Auf «20 Minuten» mit seiner jungen Leserschaft sprachen sich vor einiger Zeit 78 Prozent der Befragten für eine Flugticket-Abgabe auf CO2 aus. Ich weiss aus der Flugbranche, dass die freiwillige Kompensation vor Greta Thunberg und «Fridays for Future» unter einem Prozent war und aktuell immer noch nur 3 Prozent freiwillig kompensieren. Die Menschen sind preissensibel. Dazu kommt: Die Jungen wollen reisen und haben festgestellt, dass ihnen diese Vorlage das Reisen verteuert bis verunmöglicht. 

Das neue CO2-Gesetz hätte auch Preiserhöhungen auf Benzin, Diesel und Heizöl gebracht. Welchen Einfluss hatte dieses Argument auf das Abstimmungsergebnis?
Die Ablehnung der Vorlage gründet auf einer Kombination von Argumenten. Aber es ist unbestritten, dass das Gesetz gewisse Bereiche verteuert hätte. Die 100 Franken, die Bundesrätin Simonetta Sommaruga als Durchschnittsgrösse nannte, halten einem Realitätscheck nicht stand. Nun steht bereits das nächste Thema an: Der Bundesrat will Pilotversuche für Mobility Pricing ermöglichen und führt eine Vernehmlassung durch. Die Autoverbände sprechen sich dagegen aus, weil es im Kern nicht um Mobility Pricing, sondern um Road Pricing geht. Es wird nicht berücksichtigt, dass Mobilität auch auf der Schiene und in der Luft stattfindet. Wir müssen eine offene und sachliche Diskussion führen, weil wir wissen müssen, welche Mobilität wie viel kostet. 

Dass wir die CO2-Emissionen senken müssen, ist mittlerweile unbestritten. Was war so falsch am Weg, den das neue CO2-Gesetz eingeschlagen hätte?
Falsch war, eine klassische politische Umverteilung anzustreben, die dem Klima schlicht und einfach nichts bringt.  Man nimmt der Bevölkerung und der Wirtschaft Geld weg, wirft es in einen Topf – in diesem Fall der Klimafonds – und verteilt es neu. Damit fördert man keine Innovationen. Es ist kontraproduktiv, beispielsweise der Flugindustrie Geld wegzunehmen und es in Gebäudesanierungen zu stecken oder Geld aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds NAF neu zu verteilen. Das hilft dem Klima nicht.

Immerhin versprach das Gesetz, dass ­jeder und jede in der Schweiz auch wieder Geld zurückerhält.
Diese Rückverteilung via Krankenkassen ist Blödsinn. Die Leute haben gemerkt, dass man sie damit kaufen will. Kommt dazu, dass eine Rückverteilung keinen positiven Klimabeitrag leistet. 

Das Thema CO2 wird auf der politischen Agenda bleiben. Was ist Ihrer Ansicht nach der richtige Weg, die CO2-Emissionen der Schweiz zu senken?
Zuerst muss man festhalten, dass die Schweiz für 1 Promille der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Das heisst nicht, dass wir die Hände in den Schoss legen und nichts tun sollen. Wir haben ja bereits ein CO2-Gesetz. Nun gilt es erstens, zu analysieren, was wirkt, was man weiterführen soll und was man getrost bleiben lassen kann. Zweitens müssen wir uns natürlich überlegen, wie die Mobilität stärker zum Klimaschutz beitragen kann. Aber das muss mit Anreizen geschehen und nicht mit faktischen Technologieverboten. 37 Prozent der von Januar bis Mai in der Schweiz neu immatrikulierten Personenwagen verfügen über einen alternativen Antrieb – Tendenz steigend. Man sieht also, da tut sich etwas. Zu wenig tut sich bei der Ladeinfrastruktur. Hier braucht es Unterstützung, und zwar im öffentlichen Raum wie auch auf privaten Parkflächen. Und gleichzeitig muss die Frage erlaubt sein, ob Elektromobilität wirklich das Gelbe vom Ei und das allein selig Machende ist. Innerstädtisch ist E-Mobilität sicher eine sehr gute, klimaschonende Lösung. Aber auch der Verbrennungsmotor hat weiter seine Berechtigung und kann seinen Beitrag leisten – etwa, indem man mit erneuerbarer Energie synthetisch hergestellte Treibstoffe nutzt. Die Technik entwickelt sich immer weiter, wenn man sie nicht mit einem faktischen Technologieverbot belegt. Und genau das wollte das neue CO2-Gesetz.

Sprechen wir über die Kosten: Die Schweizerinnen und Schweizer haben auch mit dem Portemonnaie abgestimmt. Wenn Sie nun vom Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge und von synthetischen Treibstoffen sprechen, werden diese Innovationen auch nicht gratis zu haben sein. Besteht nicht das Risiko, dass auch ein nächstes, marktwirtschaftlich ausgestaltetes CO2-Gesetz an der Urne wieder versenkt wird?
Doch, diese Gefahr besteht immer. Wir müssen den Menschen aufzeigen, dass sie für das Geld auch etwas erhalten, von dem sie profitieren werden. Dann sehe ich gute Chancen, dass ein neues CO2-Gesetz mehr Unterstützung erfährt als die abgelehnte Vorlage, die den Leuten einfach Geld wegnehmen und neu verteilen wollte. Die Autoverbände hatten sich beispielsweise für eine Benzinpreiserhöhung von rund 5 bis 8 Rappen ausgesprochen, sofern diese Preiserhöhung wieder in die Strasseninfrastruktur geflossen wäre. Es ist doch wie daheim: Ich stelle auch nicht ein «Kässeli» hin, aus dem sich jeder bedienen kann. Aber wenn ich ein «Ferienkässeli» aufstelle, in das jeder regelmässig einzahlt und mit dem man im Sommer verreist, dann ist das doch ein ganz anderer Anreiz. Man muss den Leuten aufzeigen: Wenn ihr jetzt für einen konkreten Nutzen etwas zahlt, dann habt ihr später etwas davon.

Die Schweiz hat sich verpflichtet, bis 2030 ihre Treibhausgas-Emissionen zu halbieren. Nun wird weiter Zeit verstreichen, bis ein neues CO2-Gesetz vorliegt. Werden wir das 2030er-Ziel noch schaffen?
Es ist eine Frage der Betrachtung: Die Schweiz hat in den letzten Jahren ihren CO2-Ausstoss pro Kopf um 25 Prozent gesenkt. Aber diese Entwicklung wurde durch die hohe Zuwanderung teilweise wieder zunichte gemacht. Ich bin der Ansicht, dass wir die Zuwanderung in die Diskussion über die Klimapolitik einbeziehen müssen. Mit diesen 25 Prozent Minus in den letzten zehn Jahren wären wir ziemlich genau auf Kurs, um bis 2030 auf eine Reduktion von 50 Prozent zu kommen. Politisch muss es einen Mittelweg geben zwischen dem Ausstoss pro Kopf und dem Total. Und in dieser Diskussion darf die Zuwanderung durchaus ein Thema sein. 
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