Auto wird zur Erweiterung des persönlichen Lebensraums

Tag der Schweizer Garagen 2024

Auto wird zur Erweiterung des persönlichen Lebensraums

7. November 2023 agvs-upsa.ch – Kaum jemand kennt die Tendenzen und Entwicklungen im internationalen Automobilmarkt so gut wie Helena Wisbert, Direktorin am CAR (Center for Automotive Research) und Professorin für Automobilwirtschaft an der Ostfalia-Hochschule in Wolfsburg. Im Interview verrät die Auto-Professorin, was die Teilnehmenden am «Tag der Schweizer Garagen» am 16. Januar 2024 erwarten dürfen, weshalb der Autobesitz wichtig bleibt und welcher Antrieb sich durchsetzen wird. Sascha Rhyner


Helena Wisbert gibt von der ARD-Tagesschau über das SRF bis zur «New York Times» spannende Einblicke in aktuelle Themen der laufenden Mobilitätswende. Foto: Sascha Dressler

Helena Wisbert, was dürfen die Gäste im Kursaal von Ihnen erwarten? 
Helena Wisbert: Die Gäste erfahren, warum Innovationen der Schlüssel zum Erfolg von Unternehmen in dieser dynamischen Branche sind und erhalten vertiefte Einblicke in den globalen Innovationswettbewerb zwischen China, den USA und Europa. Der Vortrag wird die aktuellen Entwicklungen und wegweisenden Strategien beleuchten, die die Automobilindustrie prägen und welche Trends die Zukunft der Mobilität gestalten. 

Wie sieht die Zukunft des Automobils aus – gibt es überhaupt eine? 
Ja, die gibt es. Die Autos werden sich aber drastischer verändern als in den letzten 30 Jahren, da alternative Antriebe, die Digitalisierung des Fahrzeugs und das autonome Fahren ganz neue Aufbauarten und auch Fahrzeugkonzepte ermöglichen. Das Auto wird in Zukunft eine Erweiterung des persönlichen Lebensraums werden. 

Wie wird sich der motorisierte Individualverkehr entwickeln?
Die Entwicklung wird je nach Region unterschiedlich sein. Die genaue Entwicklung hängt von vielen Faktoren ab, einschliesslich technologischen Fortschritts, Umweltauflagen und dem Verhalten der Verbraucher. Es ist wahrscheinlich, dass wir in den kommenden Jahren eine Mischung aus traditionellem und innovativem Individualverkehr erleben werden und dass Mobilitätsdienstleistung und Sharing-Konzepte in Grossstädten weiter zunehmen werden. Insbesondere in Metropolen wird die Etablierung eines leisen, emissionsfreien Individualverkehrs weiter voranschreiten. 

Einer der Megatrends ist autonomes Fahren: Wie nah ist das schon oder vielleicht auch wie weit entfernt ist es noch? 
Das autonome Fahren der Stufe 3 ist heute schon auf der Strasse. Einige Anbieter ermöglichen es so, den Fahrerinnen und Fahrern zeitweise dem Auto die Kontrolle zu überlassen. Das Auto wird dann zeitweise komplett per Computer gesteuert. Der Kunde kann Hände und Aufmerksamkeit wegnehmen und darf Videos schauen oder E-Mails beantworten. Die Funktion ist allerdings auf bestimmte Verkehrssituationen begrenzt und je nach Land auf ein Tempo unter 60 km/h. In China und den USA fahren bereits autonome Fahrdienstflotten als Pilotprojekte. 

Seit einigen Jahren wird uns erzählt, dass der Besitz eines eigenen Fahrzeugs an Bedeutung verlieren wird. Die Sharing-Modelle haben sich aber nicht wie angekündigt durchgesetzt. Weshalb wird das mit Abo-Modellen anders?
Die Vorhersagen über den Rückgang des eigenen Fahrzeugbesitzes und die Zunahme von Sharing-Modellen sind in der Tat getroffen worden. Sharing-Modelle kommen, allerdings vielleicht nicht in dem Tempo, das ursprünglich erwartet wurde. Menschen sind oft traditionell und gewohnt, ein eigenes Auto zu besitzen, und der Übergang zu neuen Modellen kann Zeit in Anspruch nehmen. In vielen Regionen sind Carsharing- und Ride-Sharing-Dienste noch nicht so weit verbreitet oder verfügbar, wie es erforderlich wäre, um den Besitz eines eigenen Fahrzeugs vollständig zu ersetzen. Carsharing-Modelle haben oft Einschränkungen in Bezug auf Fahrstrecken, Verfügbarkeit und Nutzungsdauer, was sie weniger attraktiv machen kann. Auch Abo-Modelle werden nicht notwendigerweise den eigenen Fahrzeugbesitz für jeden ersetzen. Sie bieten eine attraktive Alternative für Menschen, die die Flexibilität und Vielfalt schätzen und nicht an einen langfristigen Vertrag gebunden sein möchten.

Auto-Abos sind bei Männern deutlich beliebter als bei Frauen. Gibt es einen Grund dafür? 
Stand heute gewichten Frauen den Besitz des eigenen Autos stärker als die Flexibilität, die mit einem Auto-Abo kommt. Darüber hinaus beträgt die durchschnittliche Haltedauer eines Fahrzeugs bei Frauen im Schnitt fünf Jahre. Auf diese lange Zeit sind Auto-Abos nicht ausgelegt. 

Können die Erkenntnisse aus Deutschland mit seinen Grossstädten auf die eher ländliche Schweiz mit einem im Vergleich höheren Wohlstand übertragen werden? 
Auto-Abos werden stärker im urbanen Raum angenommen, in den ländlichen Regionen dominiert der Besitz des Autos nach wie vor. 

Weshalb halten Sie E-Fuels und Verbrenner-Nostalgie für den falschen Ansatz? 
Das Festhalten an der Verbrennertechnologie bremst den Wandel Richtung CO2-neutraler Individualmobilität. Und es birgt das Risiko, dass die europäische Automobilindustrie bei alternativen Antriebsformen den Anschluss verliert. In der EU und in China ist bereits ein Ausstiegsdatum aus der konventionellen Verbrennertechnologie festgelegt. Da China der weltgrösste Automobilmarkt ist, wird die Entwicklung dort oft als Richtung für den gesamten Automobilmarkt gesehen. Die Diskussion um E-Fuels im PW-Bereich erweckt den Eindruck, als ob E-Fuels gerade neu erfunden wurden. Dabei wird daran bereits genauso lange geforscht wie an der Elektrifizierung des Antriebsstrangs, aber im Gegensatz dazu nicht mit dem Ergebnis der notwendigen Marktreife für den Massenmarkt. 

Welche Entwicklung sehen Sie im Nutzfahrzeugbereich, vor allem im Fernverkehr? Wird sich hier auch der elektrische Antrieb durchsetzen oder wird es Alternativen geben? 
Im Nutzfahrzeugbereich werden wir unterschiedliche Antriebslösungen je nach Einsatzsituation sehen. Neben E-LKW und E-Bussen wird die Wasserstofftechnologie für weite Strecken und schwere Zuglast entwickelt.
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