Technologieoffenheit sorgt für Zuverlässigkeit

Migros Ostschweiz: neue Biogas-LKW

Technologieoffenheit sorgt für Zuverlässigkeit

6. Dezember 2024 agvs-upsa.ch – An der Nutzfahrzeug-Leitmesse IAA Transportation in Hannover (D) waren Mitte September die LKW der Zukunft samt unterschiedlichster Antriebsformen zu bewundern. Auffällig: Neben den vielen chinesischen Herstellern setzen längst nicht alle auf Elektro-LKW für die Zukunft. Das hat Gründe, wie beispielsweise auch die Migros Ostschweiz zeigt. Jürg A. Stettler


Riccardo Virga, Managing Director Iveco (Schweiz) AG (links), übergibt Daniel Balmer, Leiter Transportlogistik der Migros Ostschweiz, den symbolischen Schlüssel für die neuen Biogas-Ivecos. Fotos: AGVS-Medien

Selbst wenn – wie schon vor einem Jahr an der Transport-CH in Bern – auch an der europäischen Nutzfahrzeug-Leitmesse IAA Transportation in Hannover (D) immer mehr E-LKW zu bewundern waren: Auf der Strasse rollen sie meist erst in ein paar Jahren. Zudem werden die Fragen nach der Ladeinfrastruktur für Brummis immer drängender, Lösungen gibt es jedoch noch kaum – eher Versprechungen. In der Schweiz soll 2025 immerhin die Ausschreibung der ersten Ladehubs an Nationalstrassen starten.
Während die Politik also gerne in die elektrische und oft auch in die Wasserstoff-Zukunft blickt, geht viel zu oft vergessen: Es gibt bereits heute eine praktikable und etablierte Lösung, die im Schwerverkehr einen nahezu CO2-neutralen Transport ermöglicht: Biogas oder das hochkalte, verflüssigte Bio-LNG/LBG. Und weil für die Migros Ostschweiz trotz aller Nachhaltigkeitsbemühungen eine zuverlässige Transportlogistik entscheidend ist, verfolgt sie beispielsweise einen Multitechnologieansatz, setzt auf verschiedene Antriebe und hat soeben 20 neue Biogas-LKW in Dienst gestellt.

Grösste Flottenerneuerung der Regionalgenossenschaft 
«Das Herz eines Logistikers schlägt höher, wenn man diese 20 wunderbar aufgereihten neuen LKW sieht», erklärt Sandro Feltscher, Leiter Logistik/Informatik und Mitglied der Geschäftsleitung der Migros Ostschweiz, und blickt auf die verschiedenen Iveco-Modelle mit Aufbauten der GK Grünenfelder aus Kriessern SG. Das Spezielle dabei: All diese LKW haben CNG-Antrieb. Keine Selbstverständlichkeit, schliesslich werden beispielsweise bei der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe LSVA Elektro- und Wasserstoff-Antriebe bevorzugt, und selbst wenn die Migros-LKW mit Schweizer Biogas und somit fossilfrei und nahezu CO2-neutral ihre Touren abspulen, zahlen sie die volle LSVA.

Gute Erfahrungen mit Biogas-LKW
Bislang hatte die Migros Ostschweiz Dieselfahrzeuge, zwei Wasserstoff-LKW, den kombinierten Verkehr per Bahn ins Engadin und drei CNG-LKW mit Schweizer Biogas im Tank im Einsatz. Nun wurde die CNG-Flotte massiv aufgestockt. Acht CNG-Sattelschlepper mit 460PS und spoilerintegrierter Kabine, zehn CNG-Lastwagen mit Kühlaufbauten, 400PS und reduzierter Kabinengrösse sowie zwei CNG-Wechselpritschen-Fahrzeuge mit 460PS – alle vom italienischen Hersteller Iveco – stossen zur Flotte. Die Fahrzeuge wurden mit jeweils zwei CNG-Tank-Paketen à 526 Liter bestückt, was eine Reichweite von rund 450 Kilometern ermöglicht. «Wir sind überzeugt, dass fossilfreie Antriebe die Zukunft sind und haben mit unseren bestehenden Biogas-LKW gute Erfahrungen gemacht. Deshalb haben wir uns für diese Technologie entschieden», erklärt Daniel Balmer, Leiter Transportlogistik der Migros Ostschweiz. Mit den neuen Biogas-LKW kann die Migros Ostschweiz nun rund 40 Prozent ihrer Gesamtkilometer fossilfrei fahren.


Die neuen Fahrzeuge im Fuhrpark feinsäuberlich aufgereiht – ein imposantes Bild.

Wieso nicht Elektro oder Wasserstoff? 
Doch wieso stockt Balmer, während andere Transporteure und Spediteure auf E-LKW oder Wasserstoff setzen, seine Flotte nun mit CNG-Lastwagen auf? «Für mich kommt ein zuverlässiger und stabiler Betrieb an erster Stelle. Wir müssen unsere Filialen stets versorgen können», erläutert er. Ab der Betriebszentrale in Gossau SG werden 115 Filialen des Schweizer Detailhändlers täglich mit frischen Produkten versorgt. 19 000 Kilometer spulen die insgesamt 75 Migros-Trucks dabei ab und liefern rund 8800 Paletten aus. «Ein LKW ist für uns ein Arbeitsinstrument und muss in unsere Supply-Chain-Prozesse eingebunden werden. Es kann nicht sein, dass wir unsere Prozesse an die Antriebstechnologie anpassen müssen», so Balmer. Zudem müsse der nachhaltige Transport auch wirtschaftlich sein. All diese Kriterien sprächen aktuell für LKW mit Schweizer Biogas im Tank.

Biogene Treibstoffe sind entscheidend 
Für den Logistik-Profi ist jedoch auch klar, dass es noch nie so einfach war, einen falschen Flottenentscheid zu fällen. Balmer fügt an, dass er all diejenigen bewundere, die in einem Umfeld mit sich verändernden Rahmenbedingungen den Mut haben, nur auf eine Technologie zu setzen. «Diesen Mut hätte ich nicht», räumt der 63-Jährige ein, der 44 Jahre Erfahrung im Logistik- und Transport-Bereich hat. «Der Multitechnologie-Ansatz ist für uns enorm wichtig, schliesslich definiert stets die Aufgabe die Antriebsart. Daher setzen wir bewusst auf eine breite Antriebspalette und werden auch am Diesel festhalten», so der Leiter Transportlogistik. Wichtig für die Nachhaltigkeit sei stets – egal über welchen Antrieb die Fahrzeuge verfügen – dass sie biogene Treibstoffe nutzen – beispielsweise Schweizer Biogas, grünes H2 oder eben auch grünen Diesel, sprich Biodiesel/HVO.

Schweizer Motorenforschung 
«Wir sind stolz, diesen wichtigen Meilenstein mit unseren Fahrzeugen zu begleiten», ergänzt Riccardo Virga, Managing Director Iveco (Schweiz) AG. «Mit dem Iveco S-Way Natural Gas bieten wir eine Lösung, um einen relevanten Beitrag zur Dekarbonisierung zu leisten.» Virga weist zudem darauf hin, dass unweit der Migros-Betriebszentrale bei der FPT-Motorenforschung im thurgauischen Arbon bereits an der nächsten Generation Iveco-Verbrenner gearbeitet wird. «Dieser neue Multi-Fuel-Basis motor ist für Diesel, CNG/Biogas, Wasserstoff und weitere erneuerbare Treibstoffe ausgelegt. Wir betreiben diesen Aufwand im Forschungs- und Entwicklungszentrum von FPT Industrial, weil wir etwas für die nachhaltige Zukunft tun wollen.»

Ob nun der Entscheid der Migros-Logistik profis, auf die Karte Technologieoffenheit zu setzen oder auch die Tatsache, dass Iveco an einem Multi-Fuel-Basismotor arbeitet, beides zeigt: Im Nutzfahrzeugbereich werden auch in den kommenden Jahren verschiedene Antriebsarten zu warten und zu reparieren sein. Das macht den Job der Nutzfahrzeug-Profis unter den AGVS-Mitgliedern zwar spannend, aber gleichzeitig auch komplex.
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